Montag, 20. Oktober 2008

Kommentar zu "Peter Haber – Geschichtswissenschaften im digitalen Zeitalter. Eine Zwischenbilanz"

Seitdem vor 40 Jahren eine Minderheit von Historikern begann, sich für den Gebrauch von Computern als Hilfsmittel für die Forschung zu interessieren, werden technische Hilfsmittel in der Geschichtswissenschaft von einem Großteil mit Ablehnung bzw. Misstrauen und nur von wenigen mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Zu Beginn der Nutzung von Computern lag deren Hauptaugenmerk auf der Auswertung von numerischen Datenmengen, also auf der Erstellung von Statistiken. Auf der anderen Seite „ […] bedeutete die maschinelle Auswertung von Quellen eine grundsätzliche Neuausrichtung der geschichtswissenschaftlichen Arbeitsweise […].“ (Haber: Geschichtswissenschaften, 169.), welche bis dahin von der intellektuellen Interpretation von Quellen geprägt war. Die rechnergestützte Quellenanalyse wurde allerdings stark kritisiert, da der Computer nicht methodenkonstituierend sein konnte. Neben der Berechnung von historischen Statistiken erlangten auch nicht-numerische Anwendungen immer größere Bedeutung, beispielsweise die Entwicklung von integrierten Textprogrammen, wie z.B. TUSTEP. Erst mit dem Aufkommen sogenannter Personal Computer in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre änderte sich die Beurteilung der Datenverarbeitung durch Historiker. Der Computer wurde nicht mehr nur für Statistiken und Tabellen gebraucht, sondern er symbolisierte nun die moderne Schreibmaschine und mit dem Aufkommen des Internet in den 1990er-Jahren, war der PC bei Geschichtswissenschaftlern als bequeme Schreibmaschine bereits eine feste Institution. Allerdings wurde das Internet nur zögerlich in die Forschungspraxis der Geschichtswissenschaft miteinbezogen. Erst als das Internet seine Marktreife erreicht hatte, wurde dieses Medium auch außerhalb der technischen Wissenschaften zu einem wichtigen Arbeitsinstrumentarium.
Bei Historikern gewann nunmehr zwar das Internet die Bedeutung eines zusätzlichen Rechercheinstrumentes gegenüber den herkömmlichen, allerdings nahm es nur eine untergeordneter Rolle ein. Studierende erfuhren, dass man gegenüber dem Internet misstrauisch sein müsse, da bei Online-Ressourcen das Instrumentarium der Quellenkritik nicht zur Verfügung stehe. Diesem Ruf versuchte die Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek mit dem sog. History Guide zu begegnen, einem Projekt, bei dem nicht nur Bücher, sondern auch relevante Online-Ressourcen bearbeitet werden sollen. Allerdings war diese Art der Erschließung von wissenschaftlich relevanten Daten umstritten, da mit Suchmaschinen wie Google und Altavista scheinbar billigere Alternativen existierten. Auch wenn das Internet bei der Recherche von Informationen an Bedeutung gewann, so zeigt sich, dass sich das WWW nur zögerlich als Publikationskanal für geschichtswissenschaftliche Arbeiten durchsetzt. Obwohl langsam die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen im Netz salonfähig wird, so nimmt die wissenschaftliche Gemeinschaft das gemeinsame Schreiben von Texten online nicht ernst.
Meiner Erfahrung nach nehmen die meisten Historiker an der Universität Wien hinsichtlich des Umgangs und der Verwertung von digitalen Medien einen von zwei üblichen Standpunkten ein: Einerseits setzt jeder Dozent voraus, seine Literatur im OPAC bzw. in Online-Katalogen zu suchen, andererseits zeigt sich, dass eine Mehrheit von Lehrenden gegenüber Online-Ressourcen, v.a. gegenüber Online-Textpublikationen, eine eher negative Meinung hegen, da bei den meisten dieser vermeintlichen Quellen das Instrumentarium der Quellenkritik fehlt. Den Studenten wird in den Einführungslehrveranstaltungen klargemacht, dass Online-Textpublikationen mit Vorsicht zu genießen sind. Daher legen viele Professoren (v.a. auf dem Institut für Alte Geschichte) den Studenten sogar nahe, nur dann Internet-Quellen zu verwenden, wenn keine gedruckten Publikationen zu einem bestimmten Thema existieren. Sicherlich ist – wie auch von nahezu allen Lehrpersonen auf den fünf Geschichtsinstituten bestätigt – Wikipedia als wissenschaftliche Informationsquelle ungeeignet, allerdings liegt die Auswahl und die kritische Prüfung von Quellen v.a. beim Historiker bzw. beim Geschichtsstudenten selbst, der aufgrund der Einführungslehrveranstaltungen verlässliche Internet-Quellen von unverlässlichen unterscheiden sollte.
Darüber hinaus ist die Tatsache zu bemerken, dass auf den Geschichtsinstituten Internet-Quellen eher als persönliche Recherche bevorzugt und auch den Studenten als solche nahegelegt werden, anstatt Online-Publikationen für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu verwenden. Oft wird kaum zwischen verlässlichen und unverlässlichen Internet-Quellen unterschieden, da viele Dozenten mit diesem Medium nicht vertraut sind. Die Internet-Informationen werden somit als „nicht ausreichend“ oder „nicht zitierfähig“ pauschalisiert.
Daher bleibt mir – mit Peter Haber – nur zu sagen, dass mehr Offenheit und Interesse der Historiker gegenüber den technischen und medialen Entwicklungen der letzten zehn Jahren wünschenswert ist, damit auch den Studenten mehr Möglichkeiten bei der Auswahl von Medien zur Verfügung stehen.

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